Was ist Geschmack? Aufbau der Zunge

Referat von Frank Thiel, gehalten am 20.11.00

 

 

Der Geruchssinn hat den Geschmack an Bedeutung übertroffen. So wird z.B. das Aroma eines guten Essens mit dem Geruchssinn wahrgenommen. Man schmeckt nur die Qualitäten Süß, Salzig, Sauer, Bitter und Umami (von japanischen Wissenschaftlern postulierter Glutamat-Geschmack). Außerdem wird der Geschmack durch Temperatur, Struktur und Konsistenz beeinflusst. Schärfe wird durch den allg. chemischen Sinn wahrgenommen.

 

Der Geschmackssinn ist wichtig zur Prüfung der Nahrung (genügend Kochsalz, giftige, weil bitter schmeckende Speisen usw.).

 

Geschmacksstoffe müssen wasserlöslich sein. Unlösliche Stoffe haben keinen Geschmack (Gold, Porzellan). Aber auch wasserlösliche Substanzen können geschmacklos sein (02).

Molekülgröße und Form spielt keine Rolle: D-Asparagin schmeckt süß, das Stereoisomer L-Asparagin ist geschmacklos.

 

Süß: wenige, meist org. Substanzen, verschiedene Zucker, Aminosäuren (bei neutralem pH), Alkohole, Glykole.

Zucker schmecken unterschiedlich süß: Saccharose > Fructose > Maltose > Glucose (schon ab 0,2 g/l)

Strukturelle Gemeinsamkeiten: Zwei polare Substituenten, Größenverhältnisse und räumliche Anordnung spielen hier auch eine Rolle Þ synthetisch Süßstoffe (Saccharin, Aspartam) bis zu 1000x wirksamer bzgl. der Süße, aber bitterer Nachgeschmack.

Die meisten Lebewesen haben eine Vorliebe für Süßes, weil damit Kohlenhydrate und Proteine signalisiert werden.

 

Sauer: Geschmack wird ausgelöst durch Hydronium-Ionen (H3O+). die Intensität wird rein durch die Konzentration der Ionen bestimmt. Aber: auch die Anionen beeinflussen den Geschmack. So schmeckt Zitronensäure sauer/süß, Pikrinsäure aber sauer/bitter.

 

Salzig: Wasserlösliche Salze, die in Wasser dissozieren. Sowohl Kationen und als auch Anionen tragen zum Geschmack bei. Und zwar in unterschiedlicher Wirksamkeit:

Kationen: NH4+ > K+ > Ca2+ > Na+ > Li+ > Mg2+

Anionen: SO42- > Cl- > Br- > I- > HCO3- > NO32-

Dadurch kommt ein Mischgeschmack zustande (MgSO3: salzig/bitter).

Sogar NaCl schmeckt in niederen Konzentrationen schwach süß.

 

Bitter: Unterschiedliche Struktur. Typisch sind Alkaloide (z.B. Chinin, Koffein, Morphin, Nicotin, Strychnin). Diese Stoffe weisen meist eine hohe Toxizität auf, weshalb der Geschmackssinn dafür besonders empfindlich ist.

 

  Geschmacksstoff Konz. (mol/l)
süß Glucose 10-1
  Saccharose 10-2
  Saccharin 10-5
sauer HCl und andere Säuren 10-3
salzig NaCl und andere Salze 10-2
bitter Coffein 10-3
  Chinin 10-5
  Strychnin 10-6

 

Bei Kinder gibt hat man einen instinktiven, gustofazialen Reflex festgestellt. Bitter erzeugt Abscheu, was durch Herausstrecken der Zunge zum Ausdruck gebracht wird. Sauer bewirkt ein Spitzen der Lippen und erhöhten Speichelfluss.

Þ durch Geschmäcker können z.B. auch Magensaftproduktion und Speichelfluss reflektorisch beeinflusst werden.

 

Außerdem: Beim Menschen gibt es eine Zusammenhang zw. hedonistischer Bewertung und ernährungsphysiologischem Bedarf. So kennt jeder z.B. nach Weihnachten eine Aversion gegen Süßes und Lust auf deftig salzig/saures. Es ist auch gezeigt worden, dass Kochsalzmangel Lust auf salziges macht.

 

Das Erreichen der Absolutschwelle (Wahrnehmungsschwelle) gibt keinen Hinweis auf die Natur des Geschmacks. Erst in höherer Konzentration, ab Erreichen der Erkennungsschwelle, kommt es zur Geschmackserkennung (unterhalb schmeckt NaCl, KCl leicht süß).

Die Empfindlichkeit ist zwischen 30-35°C am  höchsten.

Süß und bitter sind in Lösungen von 0°C kaum wahrnehmbar.

Abb.1: angenehmer oder unangenehmer Geschmack einer Reizlösung in Abhängigkeit von ihrer Konzentration

 

 

Adaptation:

Wird die Zunge mit Reizlösung benetzt, steigert sich die Empfindung innerhalb 5s (salzig) bis 10s (bitter) zur vollen Stärke.

Danach wird der Geschmack rasch adaptiert. Die Adaption kann einige Sekunden (salzig), bis einige Stunden (bitter) anhalten. Diese Adaptation eines Geschmacks beeinflusst die Qualität der anderen. Nach Adaptation an NaCl schmeckt Wasser bitter/sauer, nach Adaptation an Säuren süß

Abb.2: Verlauf der Stärke einer Geschmacksempfindung sowie einer Geruchsempfindung während einer Dauerreizung mit 2 mol/l NaCl bzw. 0,002 mol/l H2S. Im Gegensatz zum Geruch adaptiert der Geschmack rasch und vollständig. Nach Beendigung der Reizung erholen sich Geschmack und Geruch in einem der Adaptation entsprechenden Zeitraum.

 

Durch Mischung zweier Geschmäcker entsteht kein neuer Geschmack, aber ein Geschmack kann zurückgedrängt werden (Zucker hemmt die Sauerempfindung von Zitronensaft).

Geschmacksveränderer: Gymneasäure sorgt für eine Ausfall der Süßempfindung
Mirakulin führt zu einer Umkehr der Sauerempfindung

 

                                       

 

 

 

 

 

Aufbau:

Der Mensch hat etwa 5000-10000 Geschmacksknospen. 2/3 in Papillen.

Pilzpapille: 200-400, auf der ganzen Oberfläche, 3-4 G.-knospen

Blätterpapille: 15-20, hinterer Zungenseitenrand, ca. 50 G.-knospen

Wallpapillen: 7-12, Grenze zum Zungengrund, ca. 100 G.-knospen

Fadenpapillen: taktile Funktion, überall auf der Zunge, keine G.-knospen.

1/3 der Geschmacksknospen befinden sich in Gaumen, Kehldeckel und Rachen.

Kinder haben mehr Geschmacksknospen (auch in der Wangenschleimhaut).

 

A Die 3 Typen der Geschmackspapillen. B Aufbau und Innervation einer Geschmacksknospe. Die Zellen des Geschicksorgans sind gegenüber der Epitheloberfläche grubenartig versenkt, so dass ein flüssigkeitsgefüllter Porus entsteht, in den die Mikrovilli der Sinneszellen ragen. Jede Sinneszelle wird meist von mehreren affarenten Hirnnervenfasern innerviert. C Rezeptive Felder auf der Zunge. Die einzelnen afferenten Hirnnervenfasern haben ausgedehnte, sich überlappende Innervationsgebiete, die mehrere Pilzpapillen umfassen. D Bevorzugte Lokalisation der vier Geschmacksqualitäten aus der Zunge des Menschen.

 

Rezeptive Felder:

Einige Nervenfasern innervieren mehrere Sinneszellen. Diese können sogar in unterschiedlichen Geschmacksknospen sitzen. Dadurch haben die ableitenden Fasern die Sinnesinformation vieler Zellen und es kommt zur Entstehung sogenannter rezeptiver Felder, die sich gegenseitig überlappen.

Die afferenten Fasern haben eine differenzierte Empfindlichkeit für bestimmte  Geschmacksreize.

 

Antwortverhalten von 4 verschiedenen einzelnen Geschmacknervenfasern aus de Chorda tympani einer Ratte. Es wurden alle Nervenimpulse gezählt, die durch eine Reizsubstanz ausgelöst wurden. Jede Nervenfaser antwortet auf Reizsubstanzen aller 4 Qualitätsklassen, allerdings mit unterschiedlicher Empfindlichkeit. Die typischen Muster der Erregungszunahme werden als Geschmacksprofile bezeichnet.

 

Þ Eine Faser allein gibt somit keine genaue Information über die Qualität und Konzentration wider. Erst der Vergleich der Erregungsmuster mehrerer Fasern , der im Gehirn stattfindet, enthält diese Information.